Rilana und Sarah von KUNE Aid haben in den Sommerferien drei resp. zwei Wochen auf der griechischen Insel Lesbos verbracht um im Projekt Bashira von SAO Association mitzuhelfen. Im Folgenden erzählen sie von ihren Erfahrungen:
Bashira ist ein Projekt unserer Partnerorganisation SAO, mitten in der Inselhauptstadt Mytilini gelegen. Es ist ein Tageszentrum für flüchtende Frauen wo Angebote, wie Sprachkurse, Schwimmkurse und «Arts and Crafts» angeboten werden. Ein besonderer Fokus soll auf die soziale, psychologische und rechtliche Unterstützung der Frauen gelegt werden. Ausserdem dient das Zentrum als Rückzugsort, wo es z.B. auch möglich ist das Kopftuch abzulegen und zu duschen. Die meisten Frauen die wir getroffen haben, kommen gerne und regelmässig ins Bashira Center und verbringen auch mehrere Stunden dort. Sonia, die das Zentrum vor Ort leitet, hat es zusammen mit den Frauen von SAO und diversen Volontärinnen geschafft, eine friedliche und fröhliche Atmosphäre zu schaffen und den Frauen einen Ort der Ruhe und Sicherheit zu bieten. Bashira ist ausschliesslich für Frauen und deren bis 2 Jahre alten Kinder zugänglich. Bashira ist auf viele Sach- und Geldspenden angewiesen und funktioniert nur mithilfe der Einsätze von Volontärinnen.
Wo seht ihr die grössten Probleme in Bezug auf die Flüchtenden auf der Insel Lesbos?
Rilana: Das Camp Moria verfügt über eine Kapazität von rund 2'500 Personen, es wohnen aber um die 8'000 Menschen zwischen den Stacheldrahtzäunen und Mauern. Die Folgen davon sind leicht zu verstehen: es mangelt an Hygiene, es kommt jeden Tag zu starken Reibungen und Schlägereien und die Versorgung in sämtlichen Bereichen hinkt stets mit zwei Beinen hinter her. Und, so schlimm es auch ist für die Flüchtenden, als Tourist bestünde die Möglichkeit, eine Stunde gegen Westen oder Norden zu fahren und eine der vielfältigsten Inseln Griechenlands zu geniessen. Doch Lesbos steht in keinem Reisekatalog mehr und die Tourismusbranche der Insel leidet massiv darunter. Aber nebst all den Restaurants und Bars in Mytilini, die Asylsuchenden teilweise den Zutritt verwehren, ist es auch immer wieder schön zu beobachten, wie andere Bewohner der Insel mit den geflüchteten Menschen zusammenarbeiten und viel Neues entstehen kann.
Sarah: Es hat in und um Moria einfach von allem zu wenig für die vielen Menschen. Es hat zu wenig Betreuung, zu wenig Güter und zu wenig Platz. Wahrscheinlich ist es immer dieselbe Gruppe von Menschen, die die Hilfe bekommt aber der grösste Teil geht leer aus. Dies ist wohl natürlich und auf gewisse Charakterzüge zurückzuführen. Es führt aber auch dazu, dass die Schwächsten, welche sich nicht in den Vordergrund stellen können wohl irgendwie vergessen werden. Das ganze System an sich ist einfach total überlastet. Es dauert ewig, bis eine Person einen Entscheid erhält oder im Asylprozess einen Schritt weiterkommt. Die Brennpunkte der Insel sind sehr stark durch die vielen Menschen belastet und leidet unter zu wenig Touristen und viel Abfall. Es ist erstaunlich, wie gut das Zusammenleben mit der lokalen Bevölkerung funktioniert, aber trotzdem werden natürlich (wie überall in Europa) auch kritische Stimmen laut. Ich finde das verständlich, aber es muss darauf Acht gegeben werden, dass die Stimmung nicht plötzlich kippt.
Warum sind Projekte wie Bashira für Frauen so wichtig?
Sarah: In den meisten Kulturen, aus denen sich Frauen auf Lesbos befinden, können Frauen viel weniger stark mit ihren Bedürfnissen in den Vordergrund treten, als dies bei uns der Fall ist. So leiden sie stillschweigend im Hintergrund, haben immer noch die Aufgabe die Kinder gross zu ziehen und müssen frustriert feststellen, dass dies unter den vorherrschenden Verhältnissen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten und auch banalen Dingen wie Körperpflege kann gerade im Camp Moria nicht gestillt werden. Während viele Männer den ganzen Tag in der Stadt Mytilini verbringen, würden die Frauen ohne Bashira zuhause in Moria bleiben und dort Stunden, Minuten und Sekunden zählen. Bashira ist hier eine Lösung, wie mindestens ein paar Frauen geholfen werden kann und bietet ihnen die Möglichkeiten, welche im Wettbewerb des Alltags nur den lauten Männern im Vordergrund zuteilwerden. So kann enorm viel Intelligenz, Neugier und Lebensfreude gerettet werden: Nicht selten passierte auch während unseres Aufenthaltes, dass bisher unerkannte Talente entdeckt wurden und plötzlich ein breites Grinsen die sonst so ernsten Gesichter schmückte.
Rilana: Die Not scheint endlos, die Hilfe dafür winzig. Für geflüchtete Frauen ist die Situation besonders herausfordernd und gefährlich aufgrund ihrer Vulnerabilität. Bashira kann nicht allen Frauen helfen, aber wenn wir es schaffen, dass vier Frauen die Bewegung vom Brustschwimmen verstehen, zehn Frauen über ihre Rechte in ihrer Situation Bescheid wissen und eine Frau am Ende des Tages mit einem Lachen aus dem Haus geht, dann haben wir gewonnen. Dazu eine kleine Geschichte: Ich führe die Registrierung mit einer Westafrikanerin im Bashira Center durch. Sie ist schwanger und mit ihrem kleinen Kind vor ein paar Wochen alleine auf Lesbos angekommen. Nachdem ich ihr alle Fragen gestellt habe, die wir für die Registrierung brauchen und ihr alle Regeln des Hauses erklärt habe, sieht sie mich an. Sie antwortet nichts und beginnt zu weinen. Sie ist so unglaublich erleichtert, einen Ort gefunden zu haben, wo man sie anhört und sie sich sicher fühlen kann. Am nächsten Tag frage ich sie, wie es ihr geht und sie antwortet: An einem Ort, wo mich alle anlächeln, wie soll es mir hier schlecht gehen? Deshalb.
Bashira-Schwimmkurse mit Sarah, Johanna und Rilana. Die Frauen verloren die Angst vor den Wellen, verstanden die Froschbewegungen und lachten aus tiefstem Herzen.
SAO Association stellt ihr Bashira Centre in diesem Video vor. Für Spenden besucht ihre Website: https://www.sao.ngo
Was müsste eurer Meinung nach auf Lesbos verändert werden, um die Situation der Flüchtenden allgemein zu verbessern?
Sarah: Ich finde es eigentlich bemerkenswert, wie Griechenland mit der Situation umgeht und trotzdem habe ich das Gefühl, wird das Land weitgehend mit dem Problem im Stich gelassen. Wenn sich hier ein fairer Deal mit allen europäischen Staaten finden würde, wäre sicher auch massiv mehr Kapazität vorhanden um den Flüchtenden auf Lesbos eine Alternative anzubieten und die Leute auf ganz Europa zu verteilen. Ich denke, es bräuchte mehr personelle und finanzielle Ressourcen dafür und ich sehe hier die anderen europäischen Staaten als Akteure die jetzt handeln und die ihre Verantwortung als Staaten übernehmen müssen.
Rilana: Es ist problematisch, dass der EU-Türkei Deal dazu geführt hat, dass die Insel nicht einladender oder attraktiver erscheinen darf, aus Angst, dass dies noch mehr Flüchtende anziehen würde. Meiner Meinung nach ist vor allem die griechische Bürokratie ein riesiges Hindernis, dass nicht auch mehr kleinere Organisationen auf der Insel Freizeitangebote machen können. Ausserdem ist es schwierig, die Angebote fair zu verteilen und so gilt die Regel des Glücks. Wer einen starken Charakter hat und mit ein wenig Glück gesegnet wird, profitiert von den Hilfsorganisationen, die anderen gehen unter.
Ist es euch schwergefallen, wieder in den Schweizer Alltag zurück zu kehren?
Sarah: Mir persönlich nicht unbedingt, denn ich habe noch ein paar freie Tage in Griechenland eingelegt. Hier bin ich vor allem sehr dankbar, wie gut es uns eigentlich geht und versuche, diese positive Lebenseinstellung auch in schwierigen Situationen zu behalten. Aber diese Unterschiede zu sehen, ist natürlich sehr paradox und ich denke oft an die Zeit auf Lesbos zurück und durchlebe bestimmte Situationen nochmals.
Rilana: Für mich hingegen war es sehr schwer, mich wieder in der Schweiz einzuleben, vielleicht auch, weil mich hier kein geregelter Tagesablauf erwartete. Auf Lesbos fühlte ich mich jeden Tag nützlich und glaubte daran, dass meine Arbeit einen direkten positiven Einfluss auf die Frauen hatte. Ausserdem war ich bereits vor zwei Jahren auf Lesbos und habe diesen Sommer sehr emotionale Wiedersehen mit Freunden erlebt und musste schockiert feststellen wie prekär die Zustände immer noch sind. Aber es hat mich in meiner Meinung umso mehr gestärkt, immer wieder für Menschen einzustehen, sie anzuhören und mich für sie zu interessieren.
Habt ihr etwas gesehen, dass euch nachhaltig geprägt hat und euch immer noch beschäftigt?
Rilana: Ja. Auf dem sogenannten «Lifejacket graveyard» werden die tausenden Schwimmwesten entsorgt, die die Flüchtenden auf ihrer Meeresüberquerung von der Türkei nach Lesbos jeweils trugen. Hinter jeder dieser Westen steckt eine Geschichte, ein Mensch, der sich in seiner Heimat nicht sicher genug gefühlt hatte, um dort zu bleiben. Als ich inmitten dieser orangen Schwimmwesten-Hügel stand, hat es sich angefühlt wie ein lebendiges Auschwitz.
Sarah: Mich prägen vor allem die Bilder der Flüchtlingskinder hinter den Stacheldrähten von Moria. Es gibt mir einen Stich ins Herz zu sehen, wie diese Kinder aufwachsen müssen ohne genau zu verstehen, was hier vor sich geht. Auf der anderen Seite ist es auch sehr schön, zu sehen, dass die Kinder nicht nach Herkunft unterscheiden. Sie spielen alle zusammen, egal ob die Eltern Muslime oder Christen, aus Westafrika oder aus dem arabischen Raum stammen. Ich hoffe fest, dass sie diese Offenheit beibehalten und sich Freundschaften bilden mögen. Was mich auch beeindruckt hat, ist der Erfolg unserer Schwimmkurse. Wir waren mit einer Gruppe vier Mal für etwas mehr als eine Stunde schwimmen. Die fünf Frauen aus Kamerun waren vorher noch nie ganz im Wasser und konnten sich nach diesen vier Schwimmstunden über Wasser halten. Mich hat beeindruckt, wie sehr sie schwimmen lernen wollten und wie ausdauernd sie dabei waren. Ich hoffe nun, dass diese Kurse auch ohne uns fortgesetzt werden können und dass ganz viele Frauen die lebensrettende Fähigkeit erlernen, sich über Wasser halten zu können.
Steht ihr noch in Kontakt mit Flüchtenden und anderen VolontärInnen und wenn ja, hat sich seit eurem Einsatz etwas verändert?
Sarah: Ja, ich habe noch Kontakt einigen Frauen und zwei Männern, die zwar geflüchtet sind, aber auch als Volontäre gearbeitet haben. Meines Wissens ist die Situation immer noch mehr oder weniger dieselbe. Ich bin aber sicher, dass ich wieder einmal zurück kehren werde um alle die wundervollen Menschen, die wir getroffen haben wieder zu sehen.
Rilana: Ja, wie überall auf der Welt geht mein Herz auf, wenn ich mit Menschen in Kontakt komme und ich schliesse Freundschaften. Es tut sich schon immer wieder was für Einzelfälle, die Gesamtsituation bleibt aber die gleiche.
Was kann ich als Einzelperson in der Schweiz beitragen?
Rilana: Informiere dich über die kleinen Organisationen in deiner Region und in Griechenland. Was sie tun, wo sie gerade sind und was sie brauchen. Es kann sein, dass sie dich für einen Nachmittag zum Sortieren brauchen, dass sie deine finanzielle Unterstützung benötigen oder dass du mit einem persönlichen Angebot etwas beitragen kannst. Und sonst: nimm dir Zeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, dich mit ihnen auszutauschen und gehe ohne Vorurteile auf jeden Einzelnen zu – die spürbare Dankbarkeit ist überwältigend.
Sarah: Genau, dem habe ich nichts mehr beizufügen. Ich glaube es ist am Wichtigsten, dass hierzulande nicht vergessen geht, dass es immer noch so viele Menschen auf der Flucht gibt, auch wenn die Medien nicht mehr jeden Tag darüber berichten. Und dazu gehört auch das Selbstverständnis, wie gut es uns hier eigentlich geht. Es ist wichtig, mit so vielen Leuten wie möglich darüber zu sprechen und zu diskutieren. Denn wir haben ja eigentlich keine Ahnung, wie viel Glück wir hatten, in der Schweiz geboren worden zu sein.